Berlin. Erfüllte Sexualität beginnt mit offener Kommunikation. Doch auch Gisbert Straden fehlten die Worte. Wie er gelernt hat, über Sex zu reden.
„Sag einfach, was du dir wünschst. Immer muss ich den Anfang machen. Wenn ich nichts sage, kommt nichts von dir. Du musst doch auch etwas wollen.“ Sätze wie diese sagte meine geliebte Frau und Kollegin immer wieder. Manchmal führte das zu Frust und Streit statt zu Sex – oder wie wir sagen: „Liebe machen“.
Sex haben und über Sex sprechen sind zwei verschiedene Dinge. Und das Reden darüber ist alles andere als einfach: Erstens kommuniziere ich anders als meine Frau und zweitens vermisse ich nichts. Mir fehlt nichts und alles, was ich mir wünsche, alles, was in meiner Fantasie entsteht, entsteht auch im Tun. Ich kommuniziere zum einen über meinen Körper und zum anderen weiß ich tatsächlich nicht, was ich gerade will. Meine Bedürfnisse entstehen und entwickeln sich im Verlauf.
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Erschwerend hinzu kommt: Ich habe nie gelernt, über meine sexuellen Bedürfnisse zu sprechen. Aufgewachsen mit den Erziehungsvorstellungen und Glaubenssätzen einer alleinerziehenden Mutter: „Du musst die Frau glücklich machen. Du bekommt beim Sex sowieso auf deine Kosten. Nimm dir Zeit für die Frau. Nimm Rücksicht.“ Erschwerend kommt hinzu, dass ich in meiner psychosexuellen Entwicklung, insbesondere in der Zeit zwischen 18 und 23 Jahren, uneingeschränkt die Rückmeldung bekam: „Du bist so rücksichtsvoll, wie schön!“
Über Sex zu sprechen: Probleme liegen auch in sexueller Vergangenheit
Im weiteren Verlauf meiner sexuellen Entwicklung lernte ich dann eine Frau kennen, die 13 Jahre älter war als ich, die sehr klar formulierte, was sie wollte und sehr „schräge“ Vorstellungen hatte. Ich war ein junger Mann, verliebt und fasziniert von den Erfahrungen und dem sexuellen Neuland, das ich betreten durfte – aber auch betreten musste.
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Aus heutiger Sicht war ich fünf Jahre lang ein Werkzeug. Ich lernte, in sexueller Hinsicht Dinge zu tun, die „ihr“ gefielen. Ich spielte wieder keine Rolle. Heute, fast 40 Jahre später, würden manche von sexuellem Missbrauch sprechen. Ich selbst habe das nie so empfunden und empfinde es auch heute nicht so.
Gisbert Straden & Andrea Katz
Genau wie seine Frau Andrea Katz ist Gisbert Straden ausgebildeter Paar- und Sexualtherapeut. Zuvor war er als Dozent für Wirtschaftspsychologie tätig. Gemeinsam mit seiner Frau, die hauptberuflich als Lehrerin arbeitet, betreibt er die Praxis „Von Paar zu Paar“ in Berlin. In ihrer Beziehungskolumne „Wie Katz und Straden“ beleuchten sie gemeinsam Beziehungsprobleme und suchen nach Lösungen – sowohl aus der Perspektive erfahrener Therapeuten als auch aus ganz persönlicher Sicht, mit eigenen Konflikten und Herausforderung in der Beziehung.
Sehr viel später lernte ich meine Frau und Kollegin kennen, und es war leicht und unbeschwert. Plötzlich sollte ich sagen, was ich will, worauf ich Lust habe. Wie sollte das gehen? Ich war schlicht überfordert und was leicht und unbeschwert war, wurde schwer.
Am meisten störte mich in dieser Zeit mein schlechtes Gewissen. Ich hatte das Gefühl, etwas falsch zu machen, nicht gut genug zu sein. Ich suchte die Schuld bei mir selbst. Ich redete mir ein, dass ich, obwohl ich nichts vermisste und immer auf meine „Kosten“ kam, schuld daran war, dass meine Frau die Spannung und Spontanität vermisste und sich nicht mehr begehrenswert fühlte.
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Sex als „Buffet“: Eigene Bedürfnisse kennen und respektieren
Im Rahmen unserer dreijährigen Weiterbildung zu Sexualtherapeuten haben wir dieses Thema besprochen und bearbeitet. Als Ergebnis kann man festhalten, dass es natürlich schön ist, wenn in einer Paarbeziehung die Partner aufeinander zugehen können und sich gegenseitig ihre Bedürfnisse erfüllen können. Es ist aber wichtig zu erkennen, dass der eine dabei nicht der Erfüllungsgehilfe des anderen ist und die Verantwortung für das Wohlergehen des anderen trägt.
Wir verstehen unsere Sexualität heute als ein großes Buffet, das von beiden zubereitet wird - und jeder nimmt sich, worauf er Appetit hat. Es geht darum, bei sich zu bleiben, die eigenen Bedürfnisse zu kennen und darauf zu achten, dass beide „auf ihre Kosten“ kommen.
Die Sprachen der Liebe sind dabei individuell sehr verschieden. Je mehr in einer Paarbeziehung über Sexualität gesprochen wird, auch außerhalb des Bettes, desto leichter und selbstverständlicher wird die Sexualität und der Umgang damit.
Sex bei Männern und Frauen – ähnliche Bedürfnisse, andere Voraussetzungen
Menschen sind zutiefst sexuelle Wesen. Unsere gesellschaftlichen Normen und unsere Sozialisation haben uns leider ein veraltetes und überholtes, vor allem kirchlich geprägtes Bild von Sexualität vermittelt. Das Sprechen über Sexualität findet im Grunde immer noch hinter vorgehaltener Hand statt. Eine wirkliche Aufklärung findet auch im 21. Jahrhundert noch nicht statt. Hinzu kommen die unterschiedlichen Bedürfnisse von Männern und Frauen. Zumindest in den meisten Fällen, die wir in unserer Praxis sehen.
Männer und Frauen haben grundsätzlich ein sehr ähnliches Bedürfnis nach Sexualität. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, gibt es kaum Unterschiede in der Häufigkeit. Was sich unterscheidet, sind die Grundvoraussetzungen - auch im 21. Jahrhundert.
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Frauen brauchen das Gefühl von Bindung und Nähe zum Partner, um Sex zu haben. Männer hingegen brauchen Sex, um Bindung und Nähe zur Partnerin zu erleben und zu empfinden. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen auf beiden Seiten - und auch „Adrenalin-Sex“ kommt immer wieder mal vor.
Sex in Beziehung verbessern – Das rät der Sexualtherapeut
Die wenigsten Paare tauschen sich jedoch über ihre Vorlieben, Wünsche und Bedürfnisse aus. Meist werden Vorwürfe formuliert. Daher raten wir unseren Paaren folgendes:
- Interesse füreinander zeigen: Guter Sex setzt Vertrautheit und Intimität voraus. Untreue beginnt mit mangelndem Interesse am Partner.
- Körperlich aufeinander eingehen: Küssen Sie sich leidenschaftlich – mindestens sechs Sekunden. Umarmen Sie sich täglich sieben mal sieben Sekunden – 49 Sekunden, die der Intimität und der Sexualität gut tun und damit auch Ihnen und Ihrem Partner. Ein Forscher hat passend dazu das Rezept für einen perfekten Kuss: „Explosive Wirkung“
- Großzügig sein mit Anerkennung: Anerkennung und Respekt sind die besten Grundlagen für Sex in einer dauerhaften Paarbeziehung.
- Positiv über Ihre Sexualität sprechen: Sagen Sie Ihrem Partner, wie schön der Sex miteinander ist und was Sie noch gerne ausprobieren würden. Etwa ein Orgasmustraining wie Autorin Nina?
- Sexdating: Verabreden Sie sich zum Sex und vergessen Sie, was Liebesromane und die Welt der romantischen Filme uns glauben machen wollen. Aber vergessen Sie aber auch, was Pornos uns vorgaukeln – eine Industrie für Männer. Es gibt nur wenige Pornos für Frauen. Sex funktioniert selten so, wie die Pornoindustrie uns glauben machen will. Aber schauen Sie sich ruhig mal gemeinsam einen Porno an.
- Auf Zurückweisung positiv reagieren: Kritik auf Ablehnung ist der beste Garant dafür, dass Ihre Sexualität einschlafen wird.
- Für Entspannung sorgen: Stress ist ein Lustkiller. Stresshormone töten alles. Schaffen Sie sich Inseln der Entspannung. Kommen Sie ein wenig runter. Indikator: Wenn es im Alltag keinen Sex mehr gibt, aber im Urlaub die Lust kommt, dann wissen Sie, was der Grund für fehlenden Sex ist.