Berlin. Kinder leiden immer unter der Trennung ihrer Eltern. Paartherapeut und Kolumnist Straden erzählt von eigenen Fehlern und was er gelernt hat.
„Wir tun alles, damit die Kinder es nicht mitbekommen.“ So begegnen meiner Frau und Kollegin und mir in unserer Praxis viele Paare, die vor einer Trennung stehen oder bereits getrennt sind. Diese Herangehensweise ist eine Illusion: Kinder bekommen alles mit und leiden immer unter der Scheidung der Eltern – und zwar unabhängig vom Alter. So war das auch bei meiner eigenen Scheidung.
Meine Ex-Frau und ich dachten, die Kinder würden von unseren Problemen und der drohenden Trennung nichts mitbekommen. Weit gefehlt, wie wir heute nach vielen Gesprächen mit den inzwischen erwachsenen Töchtern wissen. Viele glauben, Kinder unter sechs Jahren würden nicht mitbekommen, wenn die Beziehung zwischen Mama und Papa nicht mehr funktioniert. Das ist leider ein Irrtum: Bereits im Mutterleib nehmen die ungeborenen Kinder über den Hormonstatus der Mutter wahr, ob das Leben mit Stress oder Entspannung beginnt. Und auch nach der Geburt spüren Säuglinge und Kleinkinder Stress und Spannungen in der Familie intensiv.
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Behutsame Offenheit und Klarheit hätte uns und den Kindern geholfen. Wir hätten bereits bei den ersten Anzeichen, aufmerksamer sein und eine Paar- und Sexualtherapie aufsuchen sollen. Wir dachten jedoch, dass wir es alleine hinbekommen und haben uns immer mehr in eine Verletzungsspirale hineinbegeben, und wir wollten die Kinder von den Problemen fernhalten, ohne das zu können.
Heute empfehlen meine jetzige Frau und ich Eltern, den Kindern von der Paartherapie zu erzählen, natürlich altersentsprechend. So bekommen die Kinder mit, dass Mama und Papa sich bemühen und gemeinsam an einer Lösung arbeiten. Wann ist das „richtige“ Alter? Wir denken etwa ab vier bis sechs Jahren, je nach Reifegrad. Geht die Beziehung auseinander, raten wir zu konkreten Schritten, die den Kindern besser helfen sollen als eine heimliche Trennung.
Hoher Stress: Das droht Ihren Kindern bei einer Scheidung
Die Trennung eines Paares bedeutet für beide Partner maximalen Stress. Oft absorbiert dieser die Eltern dermaßen, dass sie die Bedürfnisse ihrer Kinder nur noch untergeordnet wahrnehmen. Gerade Kinder unter drei Jahren sind stark von der Bindung zur Mutter und anderen Bezugspersonen abhängig: Sie versuchen alles, um diese Nähe herzustellen. Gehen die Erwachsenen im Trennungsstress unter, lernt das Kind, dass seine Bemühungen scheitern.
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Dies kann im späteren Leben zu einer Bindungsstörung führen. Erschwerend kommt hinzu, dass Kinder beginnen, sich für die Trennung der Eltern schuldig zu fühlen. So fühlen Kinder eine Trennung durchaus mit, können sie gerade im jungen Alter aber weder auf sprachlicher noch auf Verstandesebene einordnen. Zwar verstehen sie mit jedem Lebensjahr mehr, besser macht das das Erlebte aber nicht: Auch ältere Kinder sind bei der Trennung ihrer Eltern immer die Leidtragenden.

Trennung mit Kindern: Diese Paare trifft es besonders häufig
Ein besonderes Risiko tragen Kinder von sogenannten Highspeed-Paaren. In unserer Praxis sehen wir solche Paare oft: Sie haben sich über Dating-Plattformen oder anderweitig kennengelernt und innerhalb der ersten zwei Jahre ein Haus gebaut, einen Hund adoptiert und Kinder in die Welt gesetzt. Doch nachdem sich die Erwachsenen alle Wünsche erfüllt haben, wird das Leben oft schwerer.
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Wenn die Belastung steigt, stellt das Paar fest, dass der Algorithmus nicht alles vorhersehen konnte und die Verliebtheitsphase irgendwann endet. Die Folge: Sie trennen sich. Auf beiden Seiten lasten der Wunsch nach Emanzipation und der Mythos der unbedingten Selbstverwirklichung. Die weitgehende finanzielle Unabhängigkeit führt dazu, dass sich Paare heutzutage ohnehin deutlich schneller trennen. Die Kinder (und der Hund) leiden.
Sowohl meine geliebte Frau und Kollegin als auch ich haben es in unseren vorherigen Ehen nicht geschafft „bis, dass der Tod uns scheidet“ auszuhalten. Für unsere gemeinsame Beziehung war das am Ende gut so. Dennoch geben viele Paare unserer Erfahrung nach zu früh auf und denken nicht ausreichend über die Folgen einer Scheidung für die Kinder nach. Das zeigen täglich viele Menschen in therapeutischen Praxisräumen, die durch die Trennung ihrer Eltern massiv bindungsgestört sind.
Vor der Scheidung hätte auch meiner Ex-Frau und mir eine Trennung auf Zeit sicherlich geholfen – befristet auf drei oder sechs Monate, mit klaren Absprachen, was in dieser Zeit passiert. Eine schriftliche Vereinbarung über den Rahmen, in dem wir uns bewegen, hätte Klarheit und Bemühen gebracht. Dies mit einer begleitenden Mediation unter Einbindung unser Töchter hätte viel Schmerz an der richtigen Stelle eingeordnet.
Fragen zu Beziehung & Liebe? Unsere Experten helfen
Sollten Sie Fragen zu einem Partnerschaftskonflikt oder sonstigen Beziehungsthemen haben, schreiben Sie uns einfach unter beziehung[at]funkemedien.de. Die Anfragen werden gesichtet, sortiert und gegebenenfalls anonymisiert veröffentlicht. Unsere Beziehungsexperten, Paar- und Sexualtherapeut Gisbert Straden und seine Frau, geben dann Antwort auf die wichtigsten Fragen.
6 erste Schritte: So erleichtern Sie sich und den Kindern die Trennung
In manchen Fällen ist eine Trennung am Ende aus unterschiedlichen Gründen unvermeidbar. So war es auch bei mir. Die begleitende Aufarbeitung dieser Trennung, so wissen wir heute, hätte geholfen. Daher habe ich auch ganz konkrete Tipps, was Eltern tun können, wenn sie die Beziehung zum Partner nicht aufrecht erhalten können oder möchten:
- Gehen Sie zu einer Paarberatung und versuchen Sie herauszufinden, ob die vermeintlich zerrüttete Beziehung wirklich zerrüttet ist. Wir erleben oft, dass sich Paare nach fünf bis zehn Sitzungen wieder verstehen und eine gemeinsame Perspektive entwickeln. Viele dieser Paare schaffen es. Am Ende profitieren sie und die Kinder. Hier lesen Sie, in welchen Fällen eine Paartherapie nicht mehr helfen kann.
- Wenn Sie sich trennen müssen, lassen Sie sich helfen. Gehen Sie zu einer moderierten Trennungsberatung und beenden Sie die Beziehung mit einem Trennungsritual, in dem die gemeinsamen schönen Momente im Vordergrund stehen. Bedenken Sie, dass Sie über Ihre Kinder immer in einer Elternbeziehung stehen werden – ob Sie das wollen oder nicht. Wer im Hass auseinandergeht, überträgt diesen bewusst oder unbewusst auch auf seine Kinder. Schaffen Sie für alle die bestmöglichen atmosphärischen Voraussetzungen in dieser schwierigen Phase. Bedenken Sie: An einer Trennung haben immer beide Partner einen Anteil.
- Vereinbaren Sie klare Regeln und halten Sie sich daran.
- Halten Sie wöchentlich eine persönliche oder digitale Elternkonferenz. Tauschen Sie sich darüber aus, was Sie bei Ihren Kindern beobachten. Dazu zählt beispielsweise, wo diese besser einschlafen. Ein Austausch über mögliche Strategien und deren Wirkung hilft sowohl den Kindern als auch Ihnen und bewahrt Sie vor Missverständnissen.
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- Berücksichtigen Sie: Tritt irgendwann ein neuer Partner oder eine neue Partnerin in das Leben des anderen, wird sich womöglich vieles verändern – insbesondere dann, wenn die Person eigene Kinder hat. So wird Ihr Ex-Partner oder Ihre Ex-Partnerin womöglich zuvor besprochene Dinge überprüfen und revidieren. Das geschieht nicht aus Bösartigkeit oder mit der Absicht, zu verletzen: Durch die neue Beziehung treten oft auch andere Gedanken und Ansichten in das Leben ein. Auch hierbei helfen die regelmäßigen Elternkonferenzen. Gehen Sie offen mit den Veränderungen um, finden Sie den besten Weg für ihre Kinder und reiten sie nicht bloß aus Prinzip auf Absprachen herum.
- Seien Sie klar, offen und transparent mit Ihren Kindern. Genauso wie Sie ihnen vor der Trennung nicht vormachen konnten, dass die Beziehung in Ordnung ist, können Sie den Kindern nun den Umgang damit zutrauen und Sie dabei an der Hand nehmen. Versichern Sie ihren Kindern immer wieder, dass sie nicht Schuld sind und dass der andere Elternteil ein guter Mensch ist. Dazu zählt auch, dass sie nicht schlecht über den anderen sprechen, auch wenn Sie noch so tief verletzt sind. Es geht nicht darum, sich als Erwachsener besser zu fühlen, sondern darum, Ihre Kinder so gut wie möglich durch diese schwierige Phase zu begleiten.
Paartherapeut gibt zu: Habe bei der Trennung Fehler gemacht
Wenn meine geliebte Frau und Kollegin und ich auf unsere eigenen Kinder und Trennungen schauen, sehen wir: Auch wir haben es nicht geschafft, dass unsere vier Kinder unbeschadet aus den jeweiligen Scheidungen herausgekommen sind. Das liegt auch daran, dass wir es damals nicht besser wussten.
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Dennoch haben wir heute zu allen ein gutes und stabiles Verhältnis. Alle vier sind emotional stabil und konnten ein tiefes Vertrauen in sich selbst aufbauen. Verantwortlich dafür war unter anderem, dass wir vieles, was wir damals nicht konnten, im Laufe der letzten Jahre aufgearbeitet haben. Das ist die größte Hoffnung und Zuversicht: Der Mensch hat immer die Chance zu lernen.