Berlin/Magdeburg. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff tritt nicht mehr an. Jetzt hofft der Kanzler auf den 46-jährigen Sven Schulze.
Es war das bestgehütete Geheimnis von Magdeburg, bis zuletzt hielten alle Beteiligten öffentlich dicht: Wer tritt im Herbst 2026 in Sachsen-Anhalt gegen die AfD an? Wer führt die CDU in die für Friedrich Merz wichtigste Landtagstagwahl im Osten?
Am Mittwochmittag kam die Auflösung: Langzeit-Ministerpräsident Reiner Haseloff will nicht nochmal antreten, die CDU wird mit Landeschef Sven Schulze ins Rennen gehen. Der 46-Jährige wird damit im kommenden Jahr zum wichtigsten Wahlkämpfer des Kanzlers.
Haseloff gilt als Bollwerk gegen die AfD in Sachsen-Anhalt
Viele Beobachter hatten auf Haseloff gewettet – als bewährtes Bollwerk gegen Rechts. Erst vor wenigen Wochen hatte der Katholik aus der Lutherstadt Wittenberg mit einem sehr emotionalen „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“-Moment für Aufsehen gesorgt.
Im Landtag hatte der Ministerpräsident sich spontan an die AfD-Abgeordneten gewandt: „Wenn ich mir Ihre Personen hier vorstelle, dass diese hier sitzen und dieses Land regieren sollen, in dem ich seit 71 Jahren Bürger bin, dann kann ich nur sagen, das ist ein Grund für mich, darüber nachzudenken, ob ich in diesem Land weiter meine Heimat sehe. Aber diesen Gefallen werde ich Ihnen nicht tun.“
Klang das nicht, als werfe da einer seinen Hut noch einmal in den Ring? Und hatte es sein Amtskollege Dietmar Woidke in Brandenburg nicht ähnlich gemacht? Der beliebte SPD-Landesvater hatte im Wahlkampf 2024 für den Fall einer Niederlage mit komplettem Rückzug gedroht: „Wenn ich gegen die AfD verliere, bin ich weg“. Er gewann und ist weiter Regierungschef.
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Haseloff ist der dienstälteste Ministerpräsident in Deutschland, wäre er selbst noch einmal angetreten, hätte es seine vierte Amtszeit werden können. Für Haseloff sprachen mehrere Faktoren – allen voran der Amtsbonus. Doch die Wahl fiel auf den bundesweit noch weitgehend unbekannten Schulze. Es soll ein Zukunftssignal sein, ein Generationswechsel. Ob es funktioniert, ist offen. Haseloff will bis zur Wahl weiterregieren - einen vorzeitigen Wechsel wie jüngst in Niedersachsen soll es nicht geben.
Sachsen-Anhalt: Schulzes Gegenspieler von der AfD ist ein Star auf TikTok
Schulze ist Diplom-Wirtschaftsingenieur, der Vater von drei Kindern ist seit vier Jahren CDU-Landesvorsitzender und Haseloffs Wirtschaftsminister, davor war er sieben Jahre Abgeordneter im EU-Parlament. Der Draht zu Parteichef Merz ist enger geworden, seit Schulze vor gut einem Jahr ins CDU-Präsidium gewählt wurde.
Schulzes Gegenspieler ist AfD-Spitzenkandidat Ulrich Siegmund: Er ist erst 34 Jahren alt – gehört aber innerhalb seiner Partei seit längerem zu den Hardlinern. Als sich im Herbst 2023 einflussreiche Rechtsextremisten in einer Villa in Potsdam trafen, um über Pläne zu einer massenhaften „Remigration“ bestimmter Bevölkerungsgruppen zu sprechen, war auch Siegmund dabei. Auf seinem TikTok-Kanal gibt er sich dagegen wie der nette Typ von nebenan – eine Methode, mit der inzwischen mehr als 560.000 Follower erreicht.
Friedrich Merz: Die Wahl im September 2026 ist ein Text für den Kanzler
Für Merz ist die Wahl am 6. September wichtiger als andere Landtagswahlen im kommenden Jahr: Schafft es die CDU wieder auf Platz eins oder wird die AfD stärkste Kraft? Gelingt es der Union, die Konkurrenz am rechten Rand klein zu halten – oder droht eine Lage, in der am Ende ein AfD-Mann die Chance bekäme, zum ersten Ministerpräsidenten in einem Bundesland zu werden?
Merz ist angetreten, die AfD zurückzudrängen. Er hat dabei in erster Linie die Bundestagswahl 2029 im Blick. Doch die Wahl in Sachsen-Anhalt wird, ob er es will oder nicht, ein Test. Verliert die CDU ihren Ministerpräsidenten, ist das an sich schon bitter für die Kanzlerpartei. Schlimmer noch für Merz: Sollte im Land eine Regierungsmehrheit nur mit Hilfe der AfD zustande kommen, kann der CDU-Chef die Uhr danach stellen, wann die ersten Forderungen laut werden: Bandmauer aufweichen, Unvereinbarkeitsbeschluss kippen, Bündnisse von CDU und AfD nicht länger verteufeln. Wahlkämpfer Schulze schloss am Mittwoch eine Zusammenarbeit mit der AfD aus.

Knapp 100 Tage nach Merz‘ Einzug ins Kanzleramt liegen Union und AfD bundesweit in mehreren Umfragen wieder gleichauf bei 25 Prozent. Sah es zwischenzeitlich so aus, als habe die neue Regierung eine Trendwende in der Stimmung erreicht, ist die Unzufriedenheit zuletzt wieder gewachsen.
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Die Wahl in Sachsen-Anhalt ist zwar erst in einem Jahr – doch auch hier deutet sich an, dass es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen kommen könnte: Bei der Landtagswahl von 2021 war es CDU-Mann Reiner Haseloff noch gelungen, die AfD klar auf Abstand zu halten – inzwischen ist sie aufgerückt: Die CDU kam in der jüngsten Umfrage auf 34 Prozent, die AfD auf 30 Prozent. Alarmierend für Merz und die Union: Bei der Bundestagswahl im Februar triumphierten die extrem Rechten in Sachsen-Anhalt mit rund 37 Prozent, die CDU lag abgeschlagen bei 19 Prozent.
Landtagswahl: Können SPD und FDP von Haseloffs Rückzug profitieren?
Thüringens Ministerpräsident Mario Voigt erwartet nach der Entscheidung für Schulze eine Stärkung der politischen Mitte: „Sven Schulze steht für Stabilität, wirtschaftliche Kompetenz und klare Haltung“, sagte der CDU-Regierungschef dieser Redaktion. Mit ihm werde ein profilierter Ostdeutscher und erfahrener Minister die Führungsrolle in Sachsen-Anhalt übernehmen. „Er ist der richtige Spitzenkandidat, um die politische Mitte zu stärken“, so Voigt.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Derzeit regiert Haseloff mit einer Koalition aus CDU, SPD und FDP. Für die beiden kleinen Koalitionspartner sieht es aktuell düster aus: Die SPD liegt weit unter 10 Prozent, die FDP wäre nach aktuellem Stand gar nicht mehr im Landtag. Offen ist nun, welchen Effekt ein Duell zwischen CDU-Mann Schulze und seinem AfD-Herausforderer Siegmund haben wird: Profitieren könnten SPD und FDP, weil mancher CDU-Wähler vor allem Haseloff-Wähler war. Entscheidend aber wird der Kampf um Platz 1. Für Schulze – und vor allem für Merz.