Berlin. Sie legen Eier, sie setzen Fleisch an – und sie könnten die Zukunft der Hühnerhaltung sein. Auch Rewe testet jetzt Zweitnutzungshühner.
Die Beleidigung „Du dummes Huhn“ ist ein Missverständnis. Hühner picken, scharren, gackern, flattern nicht nur, sondern haben einiges drauf. „Sie sind klug“, sagt Geflügelexpertin Inga Tiemann gleich zu Beginn am Telefon: „Hühner erkennen sich zum Beispiel im Spiegel und 100 andere Artgenossen am Gesicht. Sie unterhalten sich untereinander.“ Tiemann forscht an der Hochschule Osnabrück zu Gallus gallus domesticus, wie das Haushuhn wissenschaftlich präzise heißt, genauer zur Frage: Wie lässt sich das Hühnerwohl verbessern?
Die Professorin züchtet dazu Zweinutzungshühner: Anders als die Tiere sonst in der hoch spezialisierten Agrarproduktion können diese beides – Eier legen und Fleisch ansetzen. Sie sind etwas weniger effizient, sollen dafür besser und länger leben können. Sind sie die Zukunft? Die Frage hat Gewicht, haben die Deutschen doch eine neue Liebe zum Huhn entwickelt.

Hühner sind gefragt: 249 Eier verspeisen die Deutschen pro Kopf im Jahr im Schnitt
Zum einen im eigenen Garten: Mancher lässt dort Hühner rumlaufen. Mindestens drei müssen es sein, damit sie sich wohl fühlen. Dann servieren sie regelmäßig frische Eier, düngen zudem den Garten, beleben ihn. Neben diesem tierischen Hobby essen die Deutschen gerne Eier und Hühnerfleisch – und immer mehr davon.
Im Jahr 2024 verspeiste jede und jeder rein rechnerisch 249 Eier zum Frühstück, in Nudeln, Rührkuchen und so fort – und damit zehn mehr als noch im Jahr zuvor. Auf deutschen Geflügelbetrieben lebten 2024 denn auch eine Million mehr Legehennen als noch 2023: 51,4 Millionen. Die Legeleistung je Henne: 295 Eier. Das ist ein tierischer Marathon – Schwerstarbeit. Zudem werden knapp 627 Millionen Masthühner im Jahr hierzulande geschlachtet, Tiere, die schon binnen fünf bis sechs Wochen bis zu 2,5 Kilo schwer werden. Dann, noch nicht geschlechtsreif, werden sie getötet.

Wenige Weltkonzerne teilen sich die Zucht spezialisierter Rassen auf
Das Prinzip der Agrarwirtschaft ist bisher eine Art Arbeitsteilung: Die einen legen Eier, also die Hennen. Dafür setzt diese Rasse wenig Fleisch an, bleibt sportlich schmal. Die männlichen Kollegen der Hennen sind deshalb kaum als Brathähnchen geeignet – zu mager. Die anderen, die besonders schnell wachsenden Hennen und Hähne der Mastrassen, liefern das Fleisch.
Die Zucht dieser spezialisierten Rassen liegt heute vor allem in den Händen weniger Weltkonzerne: etwa der EW Group und Wimex Group, beide aus Deutschland, oder von Hendrix Genetics aus den Niederlanden. Anders gesagt: Die meisten Hühner, auch auf Biohöfen, stammen aus nur wenigen Zuchtlinien. Die Tiere sind auf Hochleistung getrimmt. Begonnen hat das schon Anfang der 1960er Jahren. Damals wuchs der Appetit auf Geflügel, auch weil die Wienerwald-Restaurant-Kette die Deutschen im Westen auf den Brathähnchen-Geschmack brachten. Im Osten – kurz zur Erinnerung – errang die 1971 gegründete Warnemünder Broiler-Bar im Hotel Neptun Kultstatus.
Hühner mit Doppelbegabung: Eier legen und Schlachtgewicht aufbauen
Nur: Eierlegen im Akkord bei den einen und rasantes Zunehmen bei den anderen haben ihren Preis. Bei den Legerassen rechnen sich die Hähne nicht. Lange Zeit wurden sie darum direkt nach dem Schlüpfen getötet. Das ist mittlerweile verboten. Inzwischen werden die Geschlechter der Küken entweder im Ei bestimmt und die männlichen Nachkommen dann aussortiert. Oder diese werden als sogenannte „Bruderhähne“ groß. Doch, sagt Tiemann, hat auch das Tücken: „Die Bruderhähne nehmen schlecht zu, müssen bis in die Pubertät gehalten werden, stressen und verletzten sich dann häufig gegenseitig. Sie tiergerecht zu halten ist eine große Herausforderung.“ Noch nicht geredet von anderen Nebenwirkungen – etwa verformte Brustbeine oder eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten – der Hochleistung in Hühnerställen.
- Richtig in Gold investieren: ETF, ETC oder Münzen und Barren?
- Unter Trump: So sicher ist das deutsche Gold in den USA noch
- Faule Deutsche? Experten sagen, ob wir wirklich zu wenig arbeiten
- Gold kaufen: Profis geben wichtige Tipps für Anfänger
- Job & Gehalt: Experte verrät, was bei Gehaltsverhandlungen wirklich zieht
- Wohnen und Mieten: Reich werden mit Airbnb – Zwei Brüder verraten, wie es geht
Tiemann sucht Alternativen. Sie kreuzt mit einem ganzen Team unter anderem die modernen weltweit bekannten Hühnerassen „White Rock“ und „Ranger“ mit alten regionalen, den „Rahmeslohern, „Bielefeldern“ und „Altsteirer“. Es ist ein groß angelegtes Forschungsprojekt namens RegioHuhn, das vom Ökoverband Naturland initiiert und von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wie Tiemann begleitet wird. Sie dokumentieren Futtermengen, beobachten wie es den Nachkommen geht,
wiegen sie, zählen ihre Eier.
Heraus kommen Hühner mit neuer Doppelbegabung: Die Hennen legen zwar nicht rund 300 Eier wie die hochgetrimmten Artgenossen, aber doch etwa 260. Dafür futtern sich die Brüderhähne ein auskömmliches Schlachtgewicht an, auch wenn sie dafür nicht nur sechs, sondern zehn bis zwölf Wochen brauchen. Tiemann sagt: „Solche Zweinutzungshühner sind etwas entspannter, robuster, pflegeleichter, aber eben keine Vollprofis.“

Auf dem deutschen Markt hat es das Zweitnutzungshuhn noch schwer
Damit seien sie ideal für den Garten eines Hobbyhalters. Und für den Stall eines Profis, also eines landwirtschaftlichen Betriebs? Die Firma Lohmann, eine Tochter der großen EW-Group hat selbst ein Zweinutzungshuhn gezüchtet: Die Rasse „Lohmann Dual“ verkaufe sich in der Schweiz, meint Tiemann. Im Deutschland der preissensiblen Kunden hat sie sich nicht durchgesetzt. Die Verbraucher müssen mitspielen.
News-Update
Wir halten Sie mit unserem Newsletter über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Christine Bremer weiß das gut. Auf ihrem Hof im niedersächsischen Kölau in der Lüneburger Heide hält sie neben Bioputen auch 2500 Zweinutzungshühner – „zum Wohl der Tiere ohne ihre üblichen Berufskrankheiten“, sagt sie. Bremer, bekannt durch die
NDR-Hofgeschichten und in diesem Jahr auch mit niedersächsischen Tierschutzpreis ausgezeichnet, erklärt: „Der Hahn lebt länger, muss für sein Hotel mit gefülltem Kühlschrank einige Wochen mehr zahlen.“ Das alles koste. Der Preis für einen Hahn für die Bratröhre bei ihr: 25 Euro. Sie verkaufe ihre Produkte über einen eigenen Online-Shop und den hofeigenen Laden: „Viele wollen die schonendere Haltung der Tiere.“ Noch ist es eine Nische.
Doch testet derzeit der Handelskonzern Rewe, wie gut sich in etwa 110 seiner Märkte in Teilen Baden-Württembergs und der Pfalz Bio-Eier von Zweinutzungshühnern verkaufen. Er bietet den Karton mit vier Stück für 2,29 Euro an. Das sei, erklärte das Unternehmen, „gut angelaufen und wir sind mit Umsatzentwicklungen zufrieden.“